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Kreatives Stricken: Der leise Gegenentwurf zum Strickboom

Ich spüre, dass kreatives Stricken als echte, freie und unplanbare Arbeit heute wichtiger ist denn je. Es ist mein leiser Gegenentwurf zum Strickboom, ein Zurück zu dem, was Handarbeit immer schon konnte: entschleunigen, verbinden und stärken.

Kreatives Stricken

=> individuellere Ausführung statt starres Nacharbeiten

für:
bewussteres Tun, eigenständigere Entscheidungen, freiere Gestaltung

gegen:
Perfektion, Wettbewerbsgeist, immer neue Trends

Gewinn:
Entschleunigung, Achtsamkeit, Unabhängigkeit

Stricken gilt als kreatives Hobby, da wir am Ende ein Produkt erhalten, das wir mithilfe von Nadeln und Garn erschaffen haben. Doch Kreativität zeigt sich erst dann, wenn etwas Eigenes entsteht. Und damit meine ich, wenn du ausprobierst, variierst oder etwas verwirfst, um anders zu beginnen. Und nicht, indem eine Anleitung möglichst exakt umgesetzt wird. In der Hoffnung, am Ende das gleiche Ergebnis wie auf dem Foto zu haben.

Kreatives Stricken beginnt dort, wo du dich traust, etwas zu verändern. Bereits kleine Anpassungen in Farbe, Form oder Technik können schon einen großen Unterschied zum Original bewirken. Du setzt deine persönliche Vorstellung um und personalisierst damit dein Strickstück. Denn du hast es nach deinen Wünschen und Vorlieben angepasst. Allein dadurch ist es nicht länger die Kopie eines Designs, sondern wirkt individuell und einzigartig.

Wie zum Beispiel bei diesem Sockenmuster: Ich habe das Weiß mit 3 neuen Farben kombiniert und dabei mit den Kontrasten gespielt. Allein die Farbwahl und ihre Kombination lässt dasselbe Jacquard Muster schon anders wirken. Zusätzlich entschied ich mich, die Rippen im Bündchen zu verändern und anstelle der Käppchen- eine Bumerangferse zu stricken. So ist eine gefühlt neue Socke entstanden. Und nur, weil ich meine Vorstellungen eingebracht habe. Schon allein eine dieser drei Veränderungen hätte dazu geführt, dass aus dieser Beispielsocke deine ganz eigene Variante entsteht.

Farbkombination und Wirkung

Warum kreatives Stricken gerade jetzt so wichtig ist

All das mag Spaß machen und Menschen inspirieren. Doch gibt es auch jene, die sich davon gestresst oder überfordert fühlen. Dem Tempo nicht mehr folgen können und das Stricken irgendwann ganz aufgeben.

Für mich wirkt ein großer Teil dieser Entwicklung wie eine Vermarktungsmaschine. Und vieles hat mit Handwerk oder Kreativität nur noch wenig zu tun. Es geht um Konformität und Konsumieren, weniger um individuelles Erschaffen. Statt selbst zu denken, wird immer mehr vorgegeben und im ersten Moment scheint es eine große Erleichterung zu sein. Aber was passiert, wenn wir kaum noch mitdenken müssen und stricken, was andere stricken? Die Vorgaben einfach übernehmen ohne uns bewusst zu machen, wie wir eigentlich dorthin gekommen sind. Die eigene Kreativität verkümmert, weil wir nicht mehr lernen, zu experimentieren. Kaum ist das erste Projekt auf den Nadeln, kreisen die Gedanken schon um das nächste.

Dabei war Handarbeit ursprünglich das Gegenteil davon: Sie stand für Ruhe, Zeit und Individualität. Stricken als Handwerk und Slow-Fashion und stellte sich gegen die schnelllebige Modeindustrie, indem es die Achtsamkeit und Nachhaltigkeit betonte. Doch dies scheint mehr und mehr verloren zu gehen. Und damit die Wertschätzung von Materialien und selbstgestrickter Kleidung.

Kreatives Stricken ist für mich deshalb eine Rückbesinnen auf das Ursprüngliche und steht somit im Gegensatz zum Strickboom. Es ist ein Weg für mehr Bewusstsein, Selbstbestimmung, Entschleunigung und Freude am Prozess. Um Strickstücke zu erschaffen, die eine eigene Bedeutung bekommen. Denn gerade jetzt, wo alles immer schneller, lauter und perfekter wird, braucht es auch Räume, in denen wir wieder lernen, selbst mitzudenken und zu gestalten. Langsamer, leiser und vielleicht nicht immer perfekt. Um so unsere Kreativität zu befördern und wieder ein Stück näher bei uns selbst zu sein.

7 Dinge, die du nicht entwickeln wirst, wenn du stur nach Anleitung arbeitest

Dein Selbstvertrauen

Wenn jede Masche vorgegeben ist, vertraust du weniger auf deine eigene Intuition. Du verlässt dich auf fremde Entscheidungen und folgst, statt selbst zu entscheiden. So kann mit der Zeit das Gefühl entstehen, dass du ohne Anleitung gar nicht mehr stricken kannst. Und merkst nicht, dass du längst mehr weißt, als du denkst.

Deine Neugier

Wenn du nur ausführst, was andere erdacht haben, lernst du selten, warum etwas funktioniert. Du strickst nach, aber die Zusammenhänge im Hintergrund erschließen sich dir nicht, weil du kaum darüber nachdenken musst. Bist du aber offen für Neues und kleine Experimente entdeckst du wertvolles Wissen über Technik, Struktur und Passform.

Deine Geduld

Mit dem Nachstricken erwartest du Ergebnisse, keine Erkenntnisse. Anleitungen erwecken eine Planbarkeit, die sich schnell als Illusion entpuppt, wenn etwas nicht passt. Und dann entsteht Frust. Kreatives Stricken dagegen lehrt Gelassenheit, weil hier der Prozess wichtiger ist als das Ergebnis.

Dein Stil

Beim Nachstricken reproduzierst du fremde Vorstellungen. Das heißt, du kopierst, statt dich selbst zu zeigen. Doch Stil entsteht erst, wenn du etwas Eigenes wagst. Etwa Farben, Strukturen oder Formen, die viel besser zu dir passen.

Deine Achtsamkeit

Wenn du Reihen und Wiederholungen einfach nur abhakst, kann der Blick für das Wesentliche verschwimmen. Das Stricken wird dann zur To-Do-Liste statt zu einem Moment der Ruhe und des Innehaltens.

Deine Freiheit

Je mehr du dich auf Anleitungen verlässt, desto weniger traust du dir zu, ohne sie zu stricken. Du bleibst abhängig statt dich weiter zu entwickeln. Wenn du nicht ausprobierst, kombinierst und Fehler machst, gibst du dir keine Chance, an Herausforderungen zu wachsen.

Deine Gestaltungsfreude

Mit dem Folgen von Anleitungen willst du Fehler vermeiden. Aber vielleicht verpasst du dadurch gerade das Beste: Fehler sind oft der Anfang von etwas Neuem. Wenn du dir Umwege, Zufälle oder Überraschungen erlaubst, wird Stricken zu einem freien, lebendigen Handwerk.

Was kreatives Stricken stattdessen bewirken kann

Wenn du kreativ strickst, dann…

  • lernst du deinem Gefühl zu folgen und entdeckst, dass du mehr weißt als du glaubst.
  • beginnst du selbst zu entscheiden und stärkst dein Vertrauen in dich und dein Können.
  • begreifst du die Logik, indem du Muster, Maschen und Formen abwandelst oder selbst entwickelst.
  • verstehst du durch Ausprobieren, warum manche Schritte notwendig sind.
  • konzentrierst du dich auf den Prozess statt auf das Ergebnis. Das lässt dich entspannter arbeiten.
  • fürchtest du dich nicht vor Fehlern, sondern siehst sie als Chance zu wachsen.
  • erkennst du, dass Stil durch Persönlichkeit entsteht und nicht durch Perfektion.
  • nimmst du jede Masche bewusster wahr. Das entschleunigt und macht den Kopf frei.
  • brauchst du weniger Vorgaben und wirst unabhängiger.
  • traust du dich, Neues zu probieren, mit Ideen zu spielen und zu improvisieren.
  • lachst du über Umwege und findest dort Freude, wo vorher Unsicherheit war.
  • spürst du, dass echte Kreativität durch Mut, Offenheit und Gelassenheit entsteht.

Deshalb sehe ich Kreatives Stricken als eine Haltung, die dein Denken und Handeln verändert: du wirst ruhiger und lernst den langsamen Prozess zu schätzen. Du entscheidest bewusster, gehst mutig deinen eigenen Weg und wirst damit ein Stück unabhängiger. Beim Stricken wie im Leben.

Meine eigene Wandlung vom Nachstricken zum kreativen Stricken und warum ich diese Methode heute mehr denn je in die Welt tragen möchte, kannst du im Blogartikel: „Ein kreatives Hobby – wie Stricken mein Leben verändert hat“ nachlesen.

Warum ein einfaches Projekt viel Entwicklungspotential hat

Aber wenn du das kreative Stricken vertiefen oder dich selbst im freien Gestalten ausprobieren möchtest, lade ich dich zu mehr MaschenMut ein. In einen Raum für kreative Experimente und Entwicklung.

In Kürze begleite ich dort das erste kleine Projekt mit großem Freiraum: „Beanie from Scratch – eine Mütze aus dem Nichts“. Wir stricken und gestalten gemeinsam je eine Beanie von Grund auf neu. Nur mit 100g Sockengarn, einer langen Rundstricknadel und einem Maßband.

Wenn dich das anspricht, trage dich gern in meinen Newsletter ein. Dort teile ich Gedanken rund um das kreative Stricken oder gebe Einblicke in meine Arbeit. Auch, wann das Beanie-Projekt startet.

Vielleicht ist kreatives Stricken nicht die lauteste Bewegung. Aber sie hat die Kraft, uns zurückzuführen: zu Bewusstsein, Achtsamkeit und Freude am Tun. Zu dem, was Handarbeit ursprünglich einmal war. Zu Selbstvertrauen, zu Geduld und zu uns selbst.

Denn am Ende geht es nicht darum, wie viele Projekte wir fertigstellen. Sondern darum, was sie mit uns machen, während wir sie erschaffen.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Irina

    Hallo Vera,

    in manchen Punkten stimme ich dir zu, in anderen nicht ganz.
    Ich finde es problematisch, allen, die nach Anleitung stricken zu unterstellen, sie wollten nicht kreativ sein. Viel mehr vermute ich, dass viele von ihnen sich erstmals an das schöne Hobby stricken herantrauen und es schlicht lernen müssen.

    Ich hab das Handarbeiten noch von meiner Oma und Mama gelernt und kann mich daher von Anleitungen lösen und meine eigenen Projekte stricken. Vielen ist das aber nicht gegeben und sie nutzen die Möglichkeiten, die große Strick- oder Wolllabel bieten.

    Ich würde mir mehr und sichtbarere Möglichkeiten wünschen, die zeigen, wie ich anhand meiner Körpermaße ein Projekt angehe, wie ich bestimmte Hürden meistere und welches Material ich dafür benötige. Auch ein Hinweis, wie ich ein Garn tauschen kann, wenn ich eine Anleitung nutzen möchte, würde zu mehr Kreativität führen.

    Wir alle haben sicher die ein oder andere Vorliebe und sind daher nicht ganz so bewandert. Dann finde ich es schön, wenn es Anleitungen gibt, die mir das Nacharbeiten ermöglichen. Bei mir wären das Socken – hab ich noch nie gestrickt. 😉

    Ich finde dein Projekt „Beanie from Scratch“ eine schöne Idee, um sich an freies Stricken zu wagen. Dafür wünsche ich dir viele Interessierte.

    Viele bestrickende Grüße vom Niederrhein
    Irina

    1. Vera

      Hallo Irina,

      ich danke dir sehr für deine ehrlichen Worte. Und zugleich freue ich mich, die strickende Seite an dir kennenzulernen.

      Du findest es problematisch, dass ich allen nach Anleitung Strickenden unterstelle, sie wollten nicht kreativ sein. Das aber war nie meine Intention. Ja, der Einstieg in dieses kreative Hobby erfolgt fast immer mit einer Anleitung. Denn gerade beim Lernen gibt sie Halt und Sicherheit. Dann gibt es jene, die fortgeschrittener sind, aber gern mal nach Anleitung stricken, weil ihnen gerade nicht nach selbständigem Denken ist. Doch darum geht es nicht.

      Hier spreche ich weder vom Stricken lernen noch sich durch einen Prozess führen zu lassen. Sondern davon, was passiert, wenn du dich immer nur auf Anleitungen verlässt. Und diese dann versuchst, so genau wie möglich nachzustricken.

      Wollen wir unsere eigene Kreativität fördern, darf der Weg hier nicht enden. Denn um sich entfalten zu können, braucht es einen Rahmen, der nicht zu sehr einschränkt. Und das passiert genau dann, wenn wir Anleitungen nicht mehr als Regelwerk sehen, sondern als Inspiration. Wenn wir uns trauen, eigene Ideen mit einzubringen.

      Und diesen Ansatz nenne ich kreatives Stricken – ein Begriff, der keiner festen Definition unterliegt. Für mich ist er ein Zwischenschritt: ein sehr wichtiger, der exaktes Nacharbeiten einer Anleitung und freies Gestalten ganz ohne Anleitung verbindet. Hier geht es um die ersten kleinen Schritte und zwar solche, die du weiter unten als Wünsche aufgeführt hast. Es sind genau die Punkte, in denen sich viele Strickende alleingelassen fühlen. Und das möchte ich mit meiner Methode ändern. Sie ist leiser und langsamer als das, was der aktuelle Stricktrend verkörpert, aber hier lassen sich Antworten auf solche Fragen finden.

      In diesem Sinne: MASCHEN.GELASSEN.ANDERS.
      Vera

  2. Heike Espeter

    Hallo Vera,
    vielen Dank für Deinen ausführlichen Blogbeitrag. Er hat mich ermutigt, weiterhin nach meinen Vorstellung, nach meiner eigenen Kreativität zu stricken. Das macht mir zumindest mehr Freude als nach Vorgaben zu stricken. Manchmal nehme ich auch nur eine Anleitung als Orientierung und löse mich dann davon.
    Liebe Grüße
    Heike

    1. Vera

      Hallo Heike,

      ganz lieben Dank für deinen Kommentar. Dann praktiziert du kreatives Stricken ja bereits so, wie ich es mir vorstelle… Und ich freue mich sehr, dass mein Beitrag dich weiterhin darin bestärkt. Du schreibst, es macht dir zumindest mehr Freude. Und das ist, finde ich, einer der wichtigsten Punkte, der uns immer wieder aufs Neue antreibt und dran bleiben lässt.

      Ich wünsche dir noch ganz viele kreative und Spaß bringende Projekte!

      Herzlichst Vera

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