Beim Thema „Meine innere Schatzkiste – was mich prägt und was mir niemand mehr nehmen kann“ , mit dem Silke zu ihrer Blogparade einlädt, wusste ich sofort: darüber könnte ich ein ganzes Buch schreiben! So reich und so bunt sind die vielen Stationen, auf die ich in meinem Leben zurückblicken kann. Und doch sind es die Reisen mit ihren Berührungen und Begegnungen, die mein Leben so besonders bereichert haben. Von denen ich immer und immer wieder gern erzähle.
Und dieser Aufruf gibt mir den Raum, meine persönlichen Schätze zu verewigen. Nicht als abgeschlossene Geschichten. Eher als Fragmente, Momentaufnahmen, die mir beim Schreiben zu allererst in den Sinn kamen. Sie sind mehr als Erinnerungen. Sie haben meinen Blick erweitert. Mich in meinem Denken und Handeln geformt – und zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.
Hast du Lust, gemeinsam mit mir in meine innere Schatzkiste zu schauen und einen Teil davon ans Licht zu holen?
Mein Reiseweg – Wie alles begann und was mich bis heute antreibt
„Reisen bedeutet Grenzen zu überschreiten, auch die eigenen.“ – Wanda Rezat
Kindheitsabenteuer am Gardasee
Meine erste Reise führte mich nach Italien – an den Gardasee. Ich war noch klein, aber einige wenige Erinnerungen haben sich tief eingeprägt. Ich feierte dort gleich zwei Geburtstage: den dritten und den vierten – zwei Jahre hintereinander fuhr ich mit meinen Eltern zum Campen dorthin.
Schon die Anreise über den Pass war aufregend. Plötzlich standen Ziegen mitten auf der Straße. Der Wagen vor uns hatte die Türen geöffnet – vielleicht aus Neugier oder Unachtsamkeit – und schon steckten die Tiere ihre neugierigen Köpfe hinein. Offenbar waren sie das gewohnt, vielleicht in der Hoffnung auf ein paar Futterreste. Ich war aufgeregt und auch ein bisschen ängstlich, aber in unserem Auto fühlte ich mich sicher – auf meinem ganz besonderen Platz: einer Liegewiese im VW Käfer. Mein Vater hatte dafür extra den Rücksitz ausgebaut, um Platz für all die Campingutensilien zu schaffen, die nicht unter die winzige Haube passten. Für mich war das der gemütlichste Platz der Welt. Ich konnte hinausschauen, spielen und schlafen. Heute kann man sich das kaum noch vorstellen. So sehr hat sich der Verkehr, die Sicherheit und das Reisen verändert.
An vieles erinnere ich mich nicht im Detail, aber einige Bilder sind geblieben: Der Eismann zum Beispiel, der keine Kugeln verkaufte, sondern riesige gefrorene Wasserblöcke auf einem Handkarren transportierte. Mit einer Spitzhacke schlug er Stücke davon ab – für unsere Campingkühltasche. Und unser Schlauchboot. Manchmal durfte ich mit meinem Vater hinaus auf den See – mit einer Schwimmweste, die mir fast bis zu den Ohren reichte. Wahrscheinlich dümpelten wir nur in Ufernähe, aber für mich war es ein großes Abenteuer.
Begegnungen mit der französischen Kultur
Während meiner Schulzeit hatte ich das große Glück, drei Reisen ins Ausland machen zu dürfen – jede davon verbunden mit dem Erlernen einer Fremdsprache. Es waren prägende Erfahrungen, die weit über den Unterrichtsstoff hinausgingen. Besonders der Schüleraustausch nach Cherbourg ist mir in lebendiger Erinnerung geblieben.
Ein Ausflug führte uns damals zum Mont Saint Michel – und bis heute macht mein Herz einen kleinen Hüpfer, wenn ich ein Foto dieser zauberhaften Insel mit dem ehrwürdigen Kloster entdecke. Diese Kulisse wirkte auf mich wie aus einer anderen Welt. Später hat sie die Harry Potter Verfilmung inspiriert. Magisch, kraftvoll, still. Ich spürte, dass sich mir dort etwas eröffnete, das ich mit Worten kaum fassen konnte.
Die Familie, bei der ich untergebracht war, besaß ein Wochenendgrundstück an der rauen Atlantikküste. Dort lagen ihre Krebsnetze im Wasser. Mit einem kleinen Motorboot fuhren wir von Boje zu Boje und sammelten die Schalentiere ein. Ich war fasziniert – und zugleich ein wenig überfordert. Die Tiere krabbelten durchs Boot, lebendig, wehrhaft, fremd. Später kamen sie in einen Topf mit Wasser, noch lebend. Das war ein Moment, den ich so noch nie erlebt hatte. Ich war es nicht gewohnt, das Leid von Tieren, die man isst, so unmittelbar mitzuerleben. Aber ich habe ich mich überwunden, das Krebsfleisch probiert – eine wahre Delikatesse. Doch blieb mehr hängen: nicht nur im Geschmack, auch in meinem Bewusstsein.
London Calling – Erste Großstadtvibes
Die zweite Reise führte mich nach London, gemeinsam mit meinem Englisch-Leistungskurs. Unser Hotel lag zwar sehr zentral – aber es hatte wenig von dem, was ich mir unter einem Hotel vorgestellt hatte. Die Wände blätterten, die Einrichtung war spartanisch, das Ganze wirkte eher wie ein Haus kurz vor dem Abriss. Aber gut – vermutlich eine Frage des Preises. Und vielleicht war das gar nicht so entscheidend. Denn draußen wartete London: laut, bunt, quirlig, voller Gegensätze und Eindrücke.
Ich sog alles auf: Leuchtreklamen und Kirchen, königliche Paläste und die feierliche Wachablösung einerseits – andererseits die freie Rede ganz normaler Menschen im Hyde Park, an der Speakers’ Corner. Ich erinnere mich an das große Traditionskaufhaus Harrods, das mich mit seinem eleganten alten Charme beeindruckte. Ebenso wie die kleinen, originellen Modeläden in Covent Garden. Dort fand ich mein ganz persönliches Souvenir: ein schlichtes, beigefarbenes Sweatshirt mit dem Wort „Bullshit“ als Schriftzug. Irgendwie sprach es mich an. Vielleicht, weil es genau dieses Lebensgefühl ausdrückte: ein bisschen rebellisch, ein bisschen ironisch – und ganz ich.
Weil London teuer war – oder unser Reisebudget zu knapp –, gab es mittags meist dasselbe: Cheeseburger und Erdbeershake. Noch heute, wenn ich daran denke, sehe ich mich in einer schmalen Seitengasse sitzen, mit Papiertüte in der Hand und Blick auf das hektische Treiben der Großstadt. Es sind diese kleinen, ganz alltäglichen Momente, die sich tief ins Gedächtnis graben.
Zwischen Glanz und Kontrolle – Leningrad in den 1980ern
Die dritte Reise in meiner Schulzeit führte mich in ein ganz anderes Umfeld – nach Leningrad, wie St. Petersburg damals noch hieß. Alles an dieser Reise war aufregend und ungewohnt. Schon die Anreise im Zug: An der deutsch-deutschen Grenze durchsuchten streng blickende Grenzbeamte unser Abteil. Ich war im Westen aufgewachsen – Freiheit war für mich selbstverständlich. Umso mehr spürte ich hier zum ersten Mal, wie beklemmend Kontrolle sein kann.
Von Ostberlin aus ging es weiter mit dem Flugzeug. Die Maschine ratterte und ächzte dermaßen, dass ich inständig hoffte, sie möge nicht abstürzen. Aber sie hielt durch – und brachte uns in eine Stadt voller Gegensätze.
Kaum angekommen, stürzten wir uns ins Abenteuer. Wir fuhren U-Bahn, wie wir es im Russischunterricht geübt hatten, und versuchten uns in kleinen Alltagsdialogen mit den Händlern auf dem Kolchosmarkt. Unsere Lehrerin hatte uns gut vorbereitet – wir waren stolz, unsere Sprachkenntnisse anwenden zu können.
Doch dann passierte etwas, das uns das Blut in den Adern gefrieren ließ: Wir machten ganz normale Urlaubsfotos – und plötzlich wurden wir von Milizionären abgeführt. Ohne Erklärung. Ohne Ankündigung. Und dann saßen wir da. Eingesperrt, voller Angst. Ein Klassenkamerad hatte alles beobachtet und unsere Lehrerin verständigt. Sie musste überaus überzeugend gewesen sein. Wir durften nicht nur gehen, sondern sogar die Filme in unseren Kameras behalten.
Später erfuhren wir, was geschehen war: Wir hatten beim Fotografieren unbeabsichtigt eine Gruppe älterer Menschen beim Schwarzhandel aufgenommen. In ihrer Not durften sie dort tun, was offiziell verboten war. Unsere Bilder hätten als systemkritische Propaganda gewertet werden können. Die Milizionäre entließen uns mit dem Rat, uns auf das Schöne zu konzentrieren. Und das taten wir – zumindest mit der Kamera.
Wir bestaunten die Pracht der Paläste, die Kirchenkuppeln, die Eremitage mit ihrem überwältigenden Reichtum. Doch die andere Seite konnten wir nicht ausblenden: das große Kaufhaus mit gähnend leeren Regalen, in dem nicht mit Freude, sondern nach Notwendigkeit und Gelegenheit eingekauft wurde. Wenn es Zahnpasta gab, wurde sie gehortet. Nicht, weil man sie brauchte, sondern weil sie eben da war.
Es gab Berioskas, spezielle Läden für Touristen mit Devisen, in denen man alles kaufen konnte – ein Spiegelbild der Ungleichheit. Jugendliche versuchten, uns unsere Jeans oder Parkas wortwörtlich vom Leib zu tauschen.
Und doch: es gab auch Leichtigkeit. Ich erinnere mich an Bäckereien mit duftenden, warmen Köstlichkeiten – für wenige Rubel. Noch heute rieche ich den süßen Duft und spüre die Kälte des Schnees, in der ich draußen bei -30 Grad mein Gebäck genoss.
Im Hostel gab es „Apfelsaft“ – ein Topf Wasser, in dem ein paar Apfelstückchen schwammen. Auf den Gängen wachte Personal – diskret, aber deutlich. Diese Reise hat mir so viele Widersprüche aufgezeigt wie keine zuvor. Sie hat mich nicht nur sprachlich gefordert, sondern auch politisch und menschlich sensibilisiert. Ich habe dort erfahren, wie komplex und vielschichtig eine andere Welt sein kann. Und wie wertvoll die eigene Freiheit ist.
Infiziert vom Fernweh – die Zeit nach der Schule
Diese drei Schulreisen hatten etwas in mir angestoßen. Etwas, das sich nicht mehr zurückdrängen ließ. Ich war infiziert. Mit Fernweh, mit Neugier, mit dem Wunsch, die Welt mit eigenen Augen zu sehen. Die Sprachen, die ich in der Schule gelernt hatte, waren nicht mehr bloß Unterrichtsstoff – sie wurden zum Schlüssel für Begegnung.
Während meiner Zeit als Beamtin ließ mich dieses Bedürfnis nicht los. Ich nahm mir drei Wochen Urlaub und flog allein nach Teneriffa. Ich wollte meine wenigen Spanisch Kenntnisse aufpolieren, doch traf ich auf Franzosen. Also sprach ich Französisch. Das diente nicht nur zu einer besseren Verständigung, sondern auch, um lästige Annäherungsversuche einiger Einheimischer charmant, aber bestimmt abzuwehren.
Zurück in Deutschland wurde mir klar: Ich wollte mehr. Also quittierte ich meinen sicheren Job und verbrachte ein halbes Jahr als Au-pair in London. Diesmal nicht als Schülerin, sondern mitten im englischen Alltag. Ich lernte, wie britischer Tee getrunken wird und Tuna-Sandwiches zu machen. Wie Familienleben dort funktioniert und wie unterschiedlich Höflichkeit verstanden werden kann. Es war ein Einblick aus erster Hand. Und eine Erfahrung, die mir zeigte, dass ich auf eigenen Beinen stehen kann.
Und dann kam die Luftfahrt. Lufthansa hatte mich auserkoren – ein Auswahlprozess, auf den man damals noch stolz sein durfte. Heute würde ein solches Aussieben als übergriffig gelten. Mit Recht, denke ich. Aber damals nahm ich es einfach hin. Ich spürte zwar Unbehagen, wenn wir regelmäßig gewogen wurden oder Kolleginnen von Stylistinnen zurechtgezupft wurden, doch ich rutschte irgendwie durch. Ich ließ mich nicht verbiegen. Stattdessen lebte ich meinen Traum: fliegen, reisen, die Welt sehen.
Ich wusste, dass ich diesen Beruf nicht ewig ausüben wollte – aber ich wollte alles daraus mitnehmen. Und das tat ich. Ich flog nicht nur quer durch Europa, sondern auch nach Afrika, Asien, Nord- und Südamerika – sogar bis nach Australien. Nur Neuseeland blieb mir verwehrt. Ich sog all diese Eindrücke auf, als könnte ich sie in meinem Innersten konservieren. Denn ich war klar: Diese Zeit kommt nie wieder so zurück.
Die Welt als Arbeitsplatz – Mein Leben über den Wolken
Einsteigen, abheben, loslassen – der Wechsel zur Fliegerei
Das Streckennetz von Lufthansa war unterteilt in Kurz- und Langstrecke. Zunächst war ich auf der Kurzstrecke unterwegs – und entdeckte Orte, die sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt haben: Kairo, Amman und Khartoum.
Kairo hat mich vom ersten Moment an fasziniert. Die Pyramiden und Tempel, die Jahrtausende überdauert hatten, flößten mir Ehrfurcht ein. Ich könnte so viele Geschichten über all die Sehenswürdigkeiten der Umgebung erzählen. Sie alle waren beeindruckend. Doch was mir am meisten im Gedächtnis blieb, war die Ruhe, mit der wir vieles erkunden konnten. Auf eigene Faust. Mit unseren Reiseführern in Buchformat, wenn die Touristengruppen wieder abgefahren waren.
Auch das ägyptische Museum zogt mich in seinen Bann. Mit unzähligen Relikten war es für mich wie eine Zeitreise durch 5000 Jahre Hochkultur. Ich konnte mich kaum losreißen. Und ein Besuch auf dem großen Basar ließ mich richtig staunen. Zwischen all den bunten Waren auf ägyptische Seide zu stoßen, kam unerwartet und ließ mein Strickherz gleich höher schlagen. Sehr beeindruckt hat mich, wie freundlich die Menschen waren. Und mit welchem Eifer sie versuchten, auf Deutsch ins Gespräch zu kommen. Ich war gerne hier – es gab so viel zu entdecken!
Amman hat mich überrascht – mit der Pracht der Hochzeiten, die direkt in unserem Hotel gefeiert wurden, und mit den sanften, traditionellen Klängen eines Pianisten, der abends in der Bar spielte. Ein Ausflug führte mich nach Jerash. Ich hätte nie vermutet, in Jordanien auf römische Ruinen zu stoßen. Es war Geschichtsunterricht zum Anfassen – und ein Moment voller Staunen.
Ein weiterer Besuch galt der Felsenstadt Petra. Ich erinnere mich noch an die Hitze. Und daran, wie uns Einheimische erklärten, dass heißer Tee besser sei als kalte Limonade. Beim Verlassen der Anlage entdeckte ich eine Schweizerin, die Sandmalereien in winzige Fläschchen füllte. Ich war fasziniert. Nicht nur von ihrer Geduld, sondern auch vom Bild aus Sand, das sie entstehen ließ: eine Pyramide und ein Kamel. Bis heute steht diese dreieckige Miniatur-Whisky-Flasche bei mir im Regal. Ein kleines Kunstwerk, das Erinnerungen weckt: an Petra, an heißen Tee und Dimple, den es so auch bei uns an Bord gab.
Khartoum hingegen war ganz anders. Wegen der politischen Lage waren wir im Sudan sehr eingeschränkt. Aber ich erinnere mich an den Besuch am Hafen, an den Anblick der Bootsbauer und kunstvoll geschnitzte Figuren. Eine davon – eine Büste einer jungen afrikanischen Frau – steht heute in meinem Wohnzimmer. Sie erinnert mich an die kleine Schar dunkelhäutiger Kinder, die uns dort umringt hatten. Uns mit großen Augen musterten und uns ein Lächeln schenkten, dass ihre blitzweißen Zähne nur so strahlten. Diese freundlichen Kindergesichter werde ich ganz sicher nie vergessen.
Wohl aber etwas anderes: die Kakerlaken. In unserem Aufenthaltsraum hatten sie die Zeitschriftenstapel erobert – Papier schien ihr Lieblingsgericht zu sein. Auch in den Zimmern tauchten sie manchmal auf. Ich habe meinen Koffer immer gut verschlossen – aus Angst, ungebetene Gäste mit nach Hause zu nehmen.
Rocky Mountains, Popcorn und Dirty Dancing – Nordamerika erleben
Der Wechsel auf die Langstrecke war für mich ein Meilenstein und ich konnte es kaum erwarten. Mein erster Flug führte mich nach Calgary, Kanada. Und gleich beim ersten Einsatz hatten wir mehrere Tage frei – ein Glücksfall. Eine Kollegin, die ich schon von der Kurzstrecke kannte, hatte ihren Vater dabei. Sie fragte mich, ob ich die beiden auf einem Ausflug in die Rocky Mountains begleiten wollte. Natürlich wollte ich!
Die Kulisse war atemberaubend. Banff war unser erstes Ziel. Dort konnten wir in einem noblen Hotel übernachten, das wegen Bauarbeiten rund um die bevorstehenden Olympischen Winterspiele gerade besonders günstige Preise hatte. Später sah ich dieses Hotel immer wieder im Fernsehen. Und es machte mich richtig stolz, dort eine Nacht verbracht zu haben. Ebenso Lake Louise. Hier spazierten wir durch den Schnee um den zauberhaften See herum, als wir plötzlich die frischen Spuren eines Braunbären entdeckten. Da wurde uns dann doch etwas mulmig zumute.
Eine Nacht verbrachten wir in einer abgelegenen Lodge, die wir erst nach Einbruch der Dunkelheit erreichten. Im Foyer prasselte ein Feuer im riesigen Kamin – eine wohlige Wärme breitete sich aus. Die Lodge war rustikal, aber unglaublich gemütlich. Und als ich am nächsten Morgen aus dem Fenster meines Zimmers schaute, verschlug es mir den Atem: eine weite, unberührte Schneelandschaft, dahinter die Rocky Mountains. Ein Bild wie gemalt.
So unverhofft ich zu dieser kleinen Reise kam, so unvergesslich bleibt sie für mich. Und zum krönenden Abschluss: Zurück in Calgary gingen wir ins Kino. Wir saßen in der ersten Reihe – anderswo war nichts mehr frei – und ich griff beherzt in meine Popcorntüte. Gesalzen! In dem Moment war ich irritiert, heute muss ich darüber lachen. Der Film? „Dirty Dancing“ war gerade frisch angelaufen. Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn später so oft wiedersehen würde. Aber nie mehr in der ersten Reihe und mit salzigem Popcorn.
Nordamerika – Steaks, Sirenen, Skylines
Nach Calgary ging es Schlag auf Schlag: New York, Philadelphia, Boston, Washington D.C., Miami, Chicago, San Francisco und Los Angeles. Jede dieser Städte hatte ihren eigenen Rhythmus, ihre eigene Energie. Manchmal hätten sie unterschiedlicher nicht sein können – von eleganter Ostküstenhistorie bis zum glitzernden Westküstentraum.
Ich sammelte Eindrücke, sog die Atmosphäre auf, tauchte ein in fremde Straßenzüge, deren gleichmäßige Struktur mich ebenso beeindruckte wie die allgegenwärtige Geräuschkulisse. Die markanten Sirenen der Polizei, die Hochhäuserschluchten, die riesigen Steaks und Saftflaschen im Supermarkt. Alles war eine Nummer größer als das, was ich von Zuhause kannte.
Einmal lag unser Hotel irgendwo neben dem Highway, und selbst der gegenüberliegende Supermarkt war ohne Auto nicht zu erreichen. Es gab keine Fußgängerbrücke. Die Distanzen, die Dimensionen – faszinierend und erstaunlich.
Auch Kanada lernte ich intensiver kennen: Montreal, Québec, Toronto und Vancouver standen auf dem Flugplan. Ich fuhr mit dem Sessellift durch den leuchtenden Indian Summer, trank Kaffee mit Kaluah im Skigebiet am Whistler Mountain und erlebte die Kraft der Niagara Falls – ein erfrischendes, fast überwältigendes Naturerlebnis.
Nordamerika ist riesig, ein Kontinent voller Kontraste. Ich hätte noch Stunden erzählen können – und hätte doch nur einen Bruchteil davon weitergegeben, was ich erleben durfte.
Safari, Samba und Koalas – Afrika / Südamerika /Australien
Nairobi – für mich bis heute untrennbar verbunden mit einer faszinierenden Safari. Ich erinnere mich oft an diesen besonderen Moment, als wir mitten im Nirgendwo von Kenia standen. Der Jeep hatte einen platten Reifen und während wir warteten, stolzierte in aller Ruhe eine Giraffenfamilie vor uns über den holprigen Weg. Ein wenig staksig und doch auch elegant bewegten sie sich durch die Weite, fast zum Greifen nah. So groß, so ruhig. Bis heute sehe ich bei jeder Giraffe genau diesen Moment vor mir. Und ehrlich gesagt: Ich war froh, dass nicht die Löwen unseren Weg gekreuzt haben.
Südamerika zeigte mir eine ganz andere Welt. In Rio de Janeiro spazierte ich zur Copa Cabana, blickte von der berühmten Christo-Statue auf Rio hinab – ein herrlicher Ausblick, trotz der Warnungen. Damals hieß es, dass Touristen oft ausgeraubt würden. Taschen und Rucksäcke sollten lieber im Hotel lassen. Kreditkarten waren noch nicht gängig, also versteckten wir einen Teil unseres Bargeldes in unseren Schuhen. Ein bisschen Improvisation gehörte dazu, ein bisschen Nervenkitzel – und ganz viel Neugier auf eine Welt, die so anders war und doch begeisterte.

Einmal schaffte ich es bis nach Sydney. Australien und und Koalas gehörten untrennbar für mich zusammen. Und natürlich wollte ich dort einen echten sehen! Ich bekam sogar die Gelegenheit einen auf den Arm nehmen und war ich überwältigt von Freude. Ein flauschiges, schläfrig dreinblickendes Wesen – so besonders, so fremd. Erst viel später habe ich mich gefragt, wie es wohl für das Tier gewesen sein muss, in den Armen unzähliger Touristen zu hängen. Was ich damals nicht wusste: Koalas riechen gar nicht so süß, wie sie aussehen. Der Duft ist streng, durchdringend, doch in dem Moment völlig nebensächlich. Denn dieser Augenblick war für mich einfach magisch.
Asien und Orient – Zwischen Galley, Glanz und Gastfreundschaft
Dann war da noch Asien. Dafür hatte ich mich extra auf einen anderen Flugzeugtyp beworben und mich weiterbilden lassen. Und ich bekam, was ich wollte: Peking, Neu-Delhi, Jakarta, Tokio, Karatschi, Singapur, Hongkong, Bangkok, Muscat, Riad… Hab ich noch was vergessen?
Punkt für Punkt flog ich diese Ziele an. Jeden Monat durften wir zwischen einem Freiblock von vier Tagen oder einer Wunschdestination wählen – und meist war es Letzteres. Ich wusste, dass ich diesen Job nicht ewig machen würde, auch wenn ich ihn noch so sehr liebte. Denn die Zeit an Bord war auch absolute Knochenarbeit. Wir flogen durch Zeit- und Klimazonen, schliefen in Schichten, mal im Leitwerk, mal auf abgetrennten Crew-Sitzen. Ich saß nächtelang in der Galley auf einem Container, hielt „Wache“, reichte Wasserbecher, unterhielt mich mit Vielfliegern. Manche einsam, manche schlaflos, manche einfach nur auf der Suche nach einem Gespräch. Und doch hätte ich es nie anders haben wollen.
Ich erlebte die schwimmenden Märkte in Thailand, sah das einfache Leben auf den kleinen Booten, Hütten auf Stelzen, Kinder mit strahlenden Gesichtern. In Peking lernte ich, dass Toiletten nicht überall selbstverständlich sind. Kabinen mit Löcher im Boden, Kinderhosen hinten zum Aufknöpfen für das schnelle Geschäft. Und dass das Fahrrad zu der Zeit das wichtigste Verkehrsmittel war. Es gab mehr Fahrräder als Einwohner in der Stadt.
In Hongkong saß ich im Cockpit beim Landeanflug – wir zirkelten durch Häuserschluchten, ich konnte in Wohnungen sehen. Kurz nachdem die Räder den Boden berührten: Vollbremsung. Die Landebahn war wirklich knapp. In Singapur suchte ich meine alte Brieffreundin – fand sogar das Haus, aber sie war längst weggezogen. Und die Sauberkeit war hier unglaublich. Man hätte vom Bürgersteig essen können.
Doch mein persönliches Highlight war Oman – ganz besonders diese eine Silvesternacht. Ich wurde aus der Bereitschaft geholt und traf auf dem Vorfeld meine Crew. Die Aufregung war groß: Wir waren zum Silvesterfest beim Sohn eines Scheichs eingeladen. Eine Kollegin hatte ihn zuvor in der First Class betreut – und nun lud er einfach die ganze Crew ein.
Zum Glück hatte ich beim Kofferpacken an alles gedacht – vom Bikini bis zum Abendkleid. Man wusste ja nie, wohin so ein Bereitschaftseinsatz führte. Abends holte uns ein Bus ab. Wir durchschritten prächtige Gemächer, erlebten gerade den Auftritt der Bauchtänzerinnen – und landeten dann in der Privatdiskothek des Scheich-Sohnes. Wir feierten durch die Nacht, stießen zwei Mal auf das neue Jahr an – mit Champagner, versteht sich. Und als wir dachten, es sei vorbei, wurden wir noch zum Frühstück in die Marokkanische Botschaft eingeladen. Ich habe Dinge gegessen, die ich vorher nie gesehen hatte. Und alles war unfassbar köstlich.
Es war eine Nacht wie aus dem Märchenbuch. Und ein Moment, der mir zeigt, was Reisen jenseits aller Pläne möglich macht: echte Gastfreundschaft, überraschende Begegnungen – und Erinnerungen, die ewig bleiben.
Gemeinsam fliegen – Gemeinsam leben
Das Beste an der ganzen Fliegerei war, dass ich viele dieser wundervollen Momente mit meinem Mann teilen konnte. Wir lebten schon zusammen, bevor ich meinen Job wechselte. Er hatte noch einmal zu studieren begonnen – und dann taten wir das einzig Richtige: „Marry me, fly 10 Percent“. Ein Slogan, der es sogar bis Karatschi auf den T-Shirt-Markt schaffte. Wir haben oft darüber gelacht, aber nie daran gezweifelt: Diesen Reichtum an Erlebnissen und Abenteuern hätten wir später nie mehr nachholen können.
Gekrönt wurde unsere Entscheidung mit einem ganz besonderen Geschenk: unserem Hochzeitsflug. Ich durfte mir aussuchen, wohin es gehen sollte. Und entschied mich für das traumhafteste Ziel, das Lufthansa damals zu bieten hatte: Mauritius – mit fünf freien Tagen. Während ich arbeitete, ließ sich mein Mann – wie immer bei solchen Flügen – von meinen Kollegen bedienen. Er kam jedes Mal halbwegs ausgeruht am Ziel an und half mir dann dabei, dem Jetlag zu trotzen, damit ich keine Minute unserer kostbaren Zeit verschlief.
Mauritius war ein Traum. Und ich hätte mir keine schönere Hochzeitsreise vorstellen können.
Die Essenz bleibt – Meine innere Schatzkiste
Das Studium meines Mannes hat sich dadurch natürlich ein wenig verlängert. Und ich? Ich kostete diese sechs Jahre voll aus, um so viel wie möglich von dieser Welt mitzunehmen. Diese Zeit hat mich geprägt. All die Eindrücke, Begegnungen, Erlebnisse – sie sind wie kleine Schätze, die ich sorgfältig in meiner ganz persönlichen Schatzkiste verwahrt habe.
Und wann immer ich den Deckel hebe, strahlen sie hervor – die Juwelen der Welt. Nicht greifbar, aber für immer in meinem Herzen verankert.
Oh, liebe Vera,
wie freue ich mich, dass du den Deckel deiner Schatzkiste gehoben hast, und ich verstehe, dass er sich nicht mehr schließen lassen wollte. All diese Geschichten, diese Eindrücke und Erlebnisse aus so vielen Ländern, mussten in die Welt hinaus! Großartig, ich habe mitgefiebert, mich angeschlichen, mit offenem Mund mit dir gestaunt!
Weißt du, dass ich auch mal Stewardess werden wollte bei der Lufthansa? Wegen meiner Länge von 9 cm über dem Lufthansa-Maximum hatte ich keine Chance! Jetzt lese ich wieder, wie bedauerlich das ist. Du hast es richtig gemacht, hast ALLES ausgeschöpft, alles rausgeholt. Ich bin wirklich beeindruckt und freue mich für dich, mit dir, an all deinen Erinnerungen.
Danke dir so sehr fürs Teilen.
Ganz liebe Grüße
Silke
Ach, liebe Silke, wie schade!
Ich hatte gerade noch Glück, hätte nicht einen Zentimeter länger sein dürfen… Und wohl gerade noch die richtige Zeit erwischt. Denn danach begann sich sehr viel zu verändern. Heute ist das Image ja nicht mehr so toll. Aber die Krönung war, als mal jemand zu mir sagte: „Echt, du warst ’ne Saftschubse?“ So habe ich mich nie gesehen und gefühlt.
Herzliche Grüße, Vera